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(de) Yugoslavien: Bericht der Anarcho-Syndikalistischen Initiative ASI (en)

From Worker <a-infos-de@ainfos.ca>
Date Wed, 23 Jul 2003 09:00:18 +0200 (CEST)


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A - I N F O S N E W S S E R V I C E
http://www.ainfos.ca/
http://ainfos.ca/index24.html
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Klassenkonflikt als Aphrodisiakum für erfolgreiche Kommunikation
In letzter Zeit wurde auf den Anarcho-Syndikalismus oft
bezug genommen, und meist in einer Art selbsterfundener oder
bewusst falsch gewählter Bedeutung. Wir sind nicht
verwundert über das Ausmass an schlechter Bildung und
Ignoranz der RegierungsvertreterInnen. Sie preschen vor mit
ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen, doch nie dort, wo sie es
verantwortlich tun sollten. Jedenfalls sind wir erbost, dass die
sogenannten VertreterInnen der ArbeiterInnen, die
GewerkschaftsbürokratInnen, öffentlich Unsinn
behaupten und der Regierung zuarbeiten, indem sie ihnen die
"Hand der Versöhnung" reichen.

Während der letzten paar Monate warnte Milenko Smiljanic,
der Präsident der SSSS [Konföderation der
Unabhängigen Gewerkschaften Serbiens](1) die serbische
Regierung, dass sie, wenn sie sich weigert mit ihm zusammen
zu arbeiten, sich mit einer Radikalisierung der Proteste und mit
der Gründung von Anarcho-Syndikaten und damit mit wild
tobenden Massen, konfrontiert sehen wird.

Jedem, der etwas über die Standpunkte weiss, die
Anarcho-SyndikalistInnen hier oder weltweit einnehmen, ist
klar, dass wir es hier mit billiger Propaganda eines
Bürokraten zu tun haben, der ohne Unterstützung und
ohne Verhandlungsoptionen alleine dasteht und dessen
Stellung von den unbefriedigten und ausgetricksten
[Gewerkschafts-]Mitgliedern schwer erschüttert wurde.
Anarcho-Syndikate haben nie und nirgends ungeplante Gewalt
und Verwüstungen in den Strassen propagiert. Die Sache,
auf die wir bisher mehrfach hingewiesen haben, ist die: Wenn
wir unsere Rechte nicht auf zivilisierte Art bekommen, dann
werden wir den Barbaren auf der anderen Seite nicht erlauben
unser Leben nach ihren Masstäben zu gestalten. Im
Gegenteil, wir werden auf die einzige Weise reagieren, die
ihnen verständlich ist. In diesem Punkt hat Smiljanic absolut
recht, wenn er die Arbeiter von Kragujevac verteidigt, die
versucht hatten sich auf gewaltsame Weise mit den
Regierungsvertretern zu unterhalten. (Die!
Arbeiter der Auto- und Waffenfabrik "Zastava" in
Kragujevac hatten versucht den Finanzminister während
seines Besuches zu verprügeln, d.Ü.). Es ist einfach für
Politiker ihre kriminellen Handlungen fortzusetzen, aber die
ArbeiterInnen, die nach langen Jahren der Arbeit gefeuert
werden, haben in dieser Gesellschaft keine andere
Perspektive.

Unser Ideal ist eine Gesellschaft ohne Gewalt. Unser Ziel ist
eine freie Gesellschaft von gleichen, selbstbewussten
Einzelnen, die zur gegenseitigen Hilfe bereit sind.
Anarcho-SyndikalistInnen wurden während aller
vergangenen Kriege für ihren Antimilitarismus verleumdet,
eingesperrt, gefoltert und umgebracht. Für uns ist Gewalt
Wirklichkeit und kein Fetisch. Aber das heisst nicht, dass wir
tatenlos auf dem Arsch sitzen bleiben und zusehen, wie unser
Leben unter den Teppich der Privatisierung gekehrt wird. Wir
werden alle wirksamen Massnahmen einsetzen, um unsere
Ziele zu erreichen. Aber nicht im Widerspruch zu unseren
ethischen Grundsätzen und nur zum wirklichen Vorteil für
die Verbesserung der Lage der ArbeiterInnen und anderer
unterdrückter Leute. Wie dem auch sei, betrachten wir die
Geschichte mal anders herum: fragen wir den Staat und die
Chefs, was sie von Gewalt halten. Wer beginnt Kriege und
warum? Wer braucht die Polizei, um sogar mit denen fertig zu
werden, die nich!
t das selbe denken? Wer kommt mit privaten
Sicherheitsdiensten und Leibwächtern, um ArbeiterInnen zu
feuern und die Fabrik mit Zwang zu übernehmen? Wer
propagiert und realisiert das Wirtschaftsmodell, dass
Millionen menschlicher Wesen auf der ganzen Welt in einen
Zustand dauernder Ausbeutung versetzt? Das ist Gewalt, eine
mehr als offensichtliche und derbe Gewalt. Aber diese Gewalt
wird von PolitikerInnen und Chefs benutzt, um ihre Interessen
unangreifbar zu machen.

Die GewerkschaftsbürokratInnen winken der Regierung mit
"ihrem" Anarcho-Syndikalismus, bieten ihnen Gespräche an
und beruhigen die ArbeiterInnen, um die Sympathien der
Regierung zu erlangen und ihre eigene Vormachtstellung
abzusichern. Weder erwarten wir, dass die PolitikerInnen eine
besonders gute Meinung von uns haben, noch kümmert uns
was sie denken (das heisst, wenn sie überhaupt denken).
Aber andererseits gibt es einen Grund, warum die
GewerkschaftsbürokratInnen versuchen unsere Methoden
zu verfälschen und zu verzerren: die enttäuschten
Mitglieder der "grossen" Gewerkschaften, die sich der
versteinerten Gestalt der Gewerkschaftsbürokratie
bewusst sind und die von den haushohen Lügen angeekelt
sind, beginnen massenweise sich von den
Gewerkschaftszentalen abzuwenden. Während sie langsam
die Handlungsunfähigkeit der hierarchischen und
autoritären Gewerkschaften erkennen, haben einige lokale
und regionale Räte der SSSS [Konföderation der
Unabhängigen Gewerkschaften Serbiens!
] Kontakt zu unserem Syndikat aufgenommen. Jedem
vernünftigen und zivilisierten Menschen ist klar, dass
seine/ihre Stimme am besten in nicht-hierarchischen,
direktdemokratischen Syndikaten gehört werden kann, in
denen die Entscheidungen nur von den Mitgliedern getroffen
werden und nicht von BürokratInnen. Diese sind von oben
ernannt und haben daher nicht die gleichen Interessen, wie
jene, die sie vertreten sollten.

Im Gegensatz zu den Mainstream-Gewerkschaften werden in
unserer Gewerkschaft die Entscheidungen nicht von einer
bestechlichen Führungsschicht (SSSS), der serbischen
Regierung (ASNS)(2) oder ausländischen Geldquellen
(Nezavisnost)(3) getroffen, sondern von den Mitgliedern
allein. Unsere Statuten lassen keine andere Möglichkeit zu.

Während des Protestmarsches (am 25. Juni) haben
Smiljanic und seine Clique versucht uns von den Protesten
abzuschneiden, indem sie die anderen ArbeiterInnen aufriefen
uns zu boykottieren. Trotzdem waren sie konfrontiert mit
wildwütenden Anworten der ArbeiterInnen, die die wahren
Beweggründe hinter diesem Aufruf erkannt hatten. Die
empörten RüstungsarbeiterInnen hätten diese
Angelegenheit mit einem SSSS-Bürokraten beinahe
handfest geregelt, der laut dazu aufgerufen hatte "diese Leute
mit ihren rot-schwarzen Fahnen und staatsfeindlichen
Transparenten" rauszuschmeissen.

Wir wiederholen nochmal die Grundlagen unserer
Aktivitäten. Es war nicht unsere Wahl jemanden
anzugreifen. Wir leben alle in einem dauernden Krieg des
Staates gegen die Gesellschaft und der Chefs gegen die
ArbeiterInnen. Das wird klar durch das Verhältnis des
Staates zu den Medien... (4) Wir antworten auf ihre Angriffe.

Wir verteidigen uns. Die Gesellschaft kann ihren Widerstand
auf verschiedene Arten äussern, aber der einzige Weg die
Gesellschaft der Ausbeutung - die Macht eines Menschen
über einen anderen, den Leid, den Schmerz, die Armut und
die Lüge - ein für alle mal zu beenden, muss hier und jetzt
in revolutionären Gewerkschaften organisiert werden, die
den Kampf nicht aufgeben bis wir beginnen können in
Freiheit zu leben.

Das bedeutet, dass wir keinen neuen [Lech] Valensa oder
einen anderen Bürokraten brauchen, der auf den Rücken
der ArbeiterInnen im Staat Karriere macht. Also, wenn wir uns
der Ursachen und Wege bewusst werden, die uns in diese
erniedrigende Lage geführt haben, dann wird uns klar
werden, warum wir uns nicht mit der Frage beschäftigen,
welche Partei an der Macht ist oder ob wir für die eine oder
andere Seite Unterschriften gegen jene sammeln sollten.
Können die Aktivitäten im Verlauf irgendeines
Regierungswechsels den ArbeiterInnen etwas wirklich
wichtiges bringen? Wie oft müssen wir mit dem Vertrauen
experimentieren, dass wir in die PolitikerInnen setzen?
PolitikerInnen und Chefs arbeiten zusammen und behalten
somit ihre Privilegien. Überlasst ihnen ihre Streitigkeiten und
legen wir unseren Schwerpunkt auf unser Ziel: ein besseres
Leben hier und jetzt.

Bedeutet das Strassenproteste?
Strassenblockaden?
Besetzung der Fabriken bis wir das bekommen, was wir
fordern?
Forderungen nach einem 4-Stunden-Tag?
Generalstreik bis zur Erfüllung aller unserer Ziele?
Kann uns irgendjemand solche Aktionen verbieten?

Jedenfalls wurde ein diktatorisches Regime auf diese Art
abgesetzt und ein anderes benutzte dieses Chaos für seinen
Aufstieg. Wir sollten nie wieder den PolitikerInnen und Chefs
erlauben unseren Kampf für ihre Ziele zu benutzen. Wir
brauchen keine Zusammenarbeit mit politischen Parteien. Wir
brauchen ihre Unterstützung nicht. Für die Schaffung
neuer gesellschaftlicher Verhältnisse, gleichberechtigter,
nicht-hierarchischer Beziehungen zwischen den Menschen,
brauchen wir keine Anführer, sondern nur ein wenig
Selbstvertrauen, wie auch alle anderen positiven
Errungenschaften der Zivilisation, die wir gegen die dunkelen
Kräfte des Aberglaubens besitzen.

Die postmodernen "DenkerInnen" versuchen uns zu
überzeugen, dass wir in einer Zeit leben, in der Ideale nichts
mehr bedeuten. Wir teilen diese Ansicht nicht, denn durch die
Annahme dieser Meinung würden die Menschen auch die
Vorstellung akzeptieren, dass im Lauf der Geschichte all jene
rückgratlosen Geschöpfe, die sich nur für ihre kleinen,
egoistischen Ziele einsetzten, recht hatten.

Vor allem kämpfen wir für die Würde des Menschen.

Belgrader lokale Gruppe der Anarcho-Syndikalistischen
Initiative

Kontakt:
Anarcho-Syndikalistische Initiative (Serbien)
Internationales Sekretariat: is@inicijativa.org
Info-Adresse: info@inicijativa.org
Web: http://www.inicijativa.org

Anmerkungen der ÜbersetzerInnen:

(1) SSSS ist die "Konföderation der Unabhängigen
Gewerkschaften Serbiens", die grösste
Zentralgewerkschaft in Serbien, die in der
staatskommunistischen Ära Yugoslaviens verwurzelt ist
und die Milosevic während seiner Herrschaft unterstützt
hat.

(2) ASNS ist die "gelbe" Gewerkschaft der serbischen
Regierung, ihr Vorsitzender ist der Arbeitsminister.

(3) Nezavisnost ("Unabhängigkeit") ist die Gewerkschaft,
die - freundlich gesagt - enge Verbindungen zur
US-amerikanischen AFL-CIO hat. ["American Federation of
Labor - Congress of Industrial Organizations" =
Amerikanische Arbeits-Föderation - Kongress der
Industrie-Organisationen, der mit 13 Millionen Mitgliedern und
68 Einzelgewerkschaften grösste
Gewerkschaftsdachverband in den USA]

(4) Die serbische Regierung hat letztens mehrere
Gerichtsverfahren gegen verschiedene Zeitschriften und
Radio/Fernseh-Sender [u.a. NIN] eröffnet, die die Arbeit der
Regierung kritisiert hatten.


Der Text erschien am 10.Juli 2003 in der grössten
serbischen Wochenzeitung "NIN" (wöchentliche
Informations-Zeitung) als unsere Antwort auf die anhaltenden
Angriffe durch GewerkschaftsbürokratInnen und
VertreterInnen der Regierung und des serbischen Staates auf
unser Syndikat und auf den Anarcho-Syndikalismus allgemein.
Meines Wissens ist es der erste Text seit 1935 (seit der
Erstausgabe der Zeitung), der in der Zeitung erscheint und
von einem Kollektiv von Leuten unterschrieben wurde und
nicht mit einem einzelnen Namen.

Rata


Übersetzung: Anarchosyndikat "eduCAT" (Bonn, Germany)
http://anarchosyndikalismus.org

Quelle: Alter_EE Mailingliste
http://www.alter.most.org.pl/fa/



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