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{Info on A-Infos}
(de) Anarchismus in der Türkei 2000
From
Nico MYOWNA <I-AFD_2@anarch.free.de>
Date
Thu, 16 Mar 2000 05:37:01 -0500
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A - I N F O S N E W S S E R V I C E
http://www.ainfos.ca/
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Ein kurzer Bericht über "Anarchismus in der Türkei 2000"
Die Wurzeln des türkischen Anarchismus liegen sowohl in der Punkbewegung,
die irgendwie aus dem Westen "importiert" wird und dem ideologischen
Wechsel früherer Marxisten vom autoritären Sozialismus bis hin zu
libertären kommunistischen Vorstellungen. Derzeit wächst die
anarchistische Bewegung zahlenmäßig, ist aber trotzdem nicht so
erfolgreich, eine solide gesellschaftliche Basis zum Kampf zu finden.
Die Gruppen
Zusätzlich zu vielen im ganzen Land verteilten anarchistischen
Einzelpersonen, kommen die AnarchistInnen in einigen größeren Städten ind
er Türkei auch in Gruppen und Organisationen vor.
In Istanbul ist die effektivste und größte Gruppe die "AGF" (Anars,ist
Genc,lik Federasyonu - Anarchistische Jugendföderation). Sie wurde im
April 1998 gegründet; ihre grundlegenden Prinzipien sind Antikapitalismus,
Ökologie, Antisexismus, Anti-Gerontokratismus, Anti-Hierarchismus und
Anarchismus. Die AGF ist für die direkte Aktion, sie haben Demos und
Protestaktionen an den Unis von Istanbul und Ankara und sie haben an
anderen Demos mit eigenen Transparenten teilgenommen. Zuletzt nahmen sie
an Demos gegen den Bau des AKW in Akkuyu teil. In Übereinstimmung mit dem
Namen sind die Mitglieder junge/jüngere anarchistische Autonome und
Einzelpersonen aus Istanbul; sie haben einige Mitglieder in anderen
Städten wie Izmir und Ankara, aber in anderen Orten sind sie nicht so
organisiert.
Im August 1999 organisierten die AnarchistInnen in Ankara sich als "Kultur-
Kooperative". Die Idee einer Kulturkooperative entstand nach monatelangen
Diskussionen, die ab Anfang 1999 geführt wurden. Die Gruppe versteht sich
selbst als "Diskussionsplattform von AnarchistInnen" und besteht nicht nur
aus jungen AnarchistInnen, StudentInnen etc., sondern auch aus
ArbeiterInnen, Angestellten und Arbeitslosen. Sie haben ca. 35-40 aktive
Mitglieder (40% davon Frauen), die sich teils als anarcho-kommunistisch,
anarcho-syndikalistisch, anarcha-feministisch, pan-anarchistisch etc.
verstehen. Sie haben an einem Produktionsprojekt gearbeitet und
diskutieren gerade, wie sie in der sogenannten "politischen" Arena
effektiver werden können - insbesondere wollen sie den Anarcho-
Syndikalismus studieren.
"ISKD" (Izmir Savap Karpitlari Dernedi - Verband der Kriegsdienstgegner
Izmir) arbeitet immer noch aktiv an antimilitaristischen und
pazifistischen Projekten. Der Verband besteht aus Antimilitaristen, von
denen die meisten den Kriegsdienst verweigert haben. Die Gruppe hat eine
internationale Kampagne zur Unterstützung für ihr Mitglied, den
Kriegdienstverweigerer "Ossi" (Osman Murat Ülke) organisiert, der im März
1999 freikam. In Zukunft wird der Verband viel Arbeit haben mit weiteren
Verweigerungsfällen und neuen Initiativen im Bereich Antimilitarismus.
In Istanbul gibt es kleinere anarchistische und libertäre Gruppen, von
denen einige eigene Zeitungen herausgeben und es gibt auch viele Gruppen
in Izmir, Ankara, Antalya, Iskenderun, Adana, Mersin, C,anakkale, Konya
und Diyarbakir (meist an Universitäten und mit jüngeren Mitgliedern). Eine
Gruppe von AnarchistInnen aus der Mittelmeerregion hat kürzlich ein öko-
anarchistisches Projekt angefangen/durchgeführt.
Antimilitarismus
In der Türkei ist der Wehrdienst Pflicht für alle Männer, die älter als 20
Jahre sind. Die türkische Armee ist "historisch" stolz darauf, eine der
autoritärsten und diszipliniertesten Armeen zu sein. In den letzten Jahren
gab es einige Dutzend Anarchisten und Antimilitaristen, die den Wehrdienst
verweigert haben. Im Oktober 1996 wurde einer von ihnen, Ossi (Osman Murat
Ülke), verhaftet und nach einer internationalen Kampagne im März 1999
wieder freigelassen.
Derzeit sieht es so aus, daß der Krieg in Kurdistan beendet ist und das
Militär hat Deserteuren die Chance eingeräumt, bei gleichzeitiger Zahlung
einer hohen Geldsumme einen Kurzzeitwehrdienst abzuleisten. Trotz der für
antimilitaristische Propaganda ungünstigen Atmosphäre, werden Anarchisten
und Antimilitaristen weiter den Wehrdienst verweigern. Für Mai ist ein
antimilitaristisches Festival geplant, wenn die örtlichen Behörden die
Genehmigung dafür erteilen, aber auf jeden Fall wird es eine
Verweigerungsdemo geben. Die "AMI" (Istanbul Anti-Militarist Inisiyatif -
Antimilitaristische Initiative Istanbul), ISKD und andere anarchistische/
antimilitaristische Gruppen und Personen kümmern sich um dieses Projekt.
Nach der Verweigerung kann der Verweigerer verhaftet werden, also kann
eine antimilitaristische Kampagne notwendig sein, die die Unterstützung
von AnarchistInnen, AntimilitaristInnen und PazifistInnen braucht.
Zusätzlich zu ISKD und IAMI (aus Istanbul) haben AntimilitaristInnen aus
Ankara beschlossen, unter dem Namen ASKD (Ankara Savap Karpitlari Dernedi
- Verband der Kriegsdienstverweiger Ankara) eine neue Initiative zu
starten.
Ökologie
Das erste AKW der Türkei soll in Akkuyu in der Nähe des Dorfes Büyükeceli
an der Mittelmeerküste gebaut werden. AnarchistInnen kämpfen aktiv gegen
den Bau des AKW und arbeiten in Anti-AKW-Plattformen und örtlichen
Initiativen mit, nehmen an Demonstrationen teil etc. Die AnarchistInnen
der AGF waren nach der KESK (Angestellten-Gewerkschaft) die größte Gruppe,
die an der in Mersin organisierten Demo teilnahmen; sie haben auch an
anderen Demonstrationen in Istanbul und anderen Orten teilgenommen. Einige
AnarchistInnen arbeiten mit Greenpeace zusammen, die gewaltlose direkte
Aktionen organisieren.
"Kara Toprak" (Schwarzes Land) ist ein Projekt, das zwischen Orten wie
Akkuyu-Büyükeceli, Bergama, C,amlihepin-Firtina Vadisi und C,amköy, in
denen es ökologische Probleme gibt, koordinieren wollte, ist
fehlgeschlagen, aber die AktivistInnen arbeiten immer noch auf lokaler
Basis.
Anti-Sexismus
Die erste homosexuelle/anti-heterosexistische Zeitung der Türkei, "Kaos
GL", wurde von anarchistischen Schwulen und Lesben im September 1994 in
Ankara gestartet und erscheint seitdem monatlich. Die Gruppe ist
gewachsen, "populärer" geworden, aber hat ihren libertären Charakter nicht
verloren und die Zeitung ist die einzige Zeitung von türkischen Schwulen
und Lesben. Vor einigen Jahren gründeten Lesben eine eigene Gruppe namens
"Sappho'nun Kizlari" (Sapphos Mädchen), aber sie arbeiten weiter mit den
Schwulen an der Zeitung.
Die Anarchafeministinnen haben von Zeit zu Zeit eigene Treffen, aber haben
es bisher nicht geschafft, langfristige "stabile" Gruppen zu organisieren.
Eine der ersten anarcha-feministischen Gruppen, die das Zine "Dokunduran
C,üksüzler" herausgab, hat sich vor einigen Jahren aufgelöst, aber seit
kurzem gibt es neue Initiativen.
Anarchistische Gefangene
Derzeit gibt es keine "anarchistischen Gefangenen" in türkischen
Gefängnissen - was heißt, niemensch ist im Gefängnis wegen anarchistischer
Aktionen oder weil er/sie Mitglied einer anarchistischen Organisation ist.
In der Türkei gibt es über 10.000 "politische" Gefangene, die meisten von
der PKK (Partiya Karkaren Kurdistan - Kurdische Arbeiterpartei), an
zweiter Stelle von illegalen bewaffneten linken Gruppen und wenige
Islamisten. Aber einige Gefangene, die als Mitglieder der PKK oder
illegaler linker Organisationen verhaftet wurden, haben ihren
ideologischen Standpunkt vom Sozialismus zum Anarchismus geändert und
angefangen, sich als "Anarchisten" zu verstehen. Sie schreiben Briefe an
anarchistische/libertäre Zeitungen - auf diese Weise erfahren die "freien"
AnarchistInnen von ihrer Existenz.
Ein "anarchistischer Gefangener" hat viel mehr Probleme als ein
politischer oder Strafgefangener. Der Druck kommt nicht nur von der
Gefängnisverwaltung, sondern auch von seiner/ihrer früheren politischen
Gruppe. Im Jahr 1998 wurde ein Antimilitarist/Pazifist (ein früheres
Mitglied von TIKKO, eine bewaffnete maoistische Gruppe) von der TIKKO im
Gefängnis von Bursa getötet unter dem Vorwand, er kooperiere mit
Regierungsstellen, aber der tatsächliche Grund war politischer/
ideologischer Dissens. Anarchistische Gefangene werden sogar von Linken
wegen unsinniger Beschuldigungen "bestraft" und geschlagen, etwa weil sie
langes Haar hätten oder Rockmusik hören. Die genaue Zahl der Anarchisten
im Gefängnis ist unbekannt, aber es können ca. 20% sein; trotzdem gibt es
kein ABC, sondern nur mehrere kleinere Initiativen, die sich um die
Probleme der Gefangenen kümmern.
Zeitungen, Zeitschriften, Verlage
Der einzige aktive anarchistische Verlag in der Türkei ist "Kaos
Yayinlari" (Chaos-Verlag). Bisher haben sie Bücher zu den verschiedenen
anarchistischen Strömungen und Bewegungen veröffentlicht - Bücher von und
über Bakunin, Malatesta, Rocker, Tolstoi, Makhno (Makhno-Bwegung),
Durruti, Bookchin, Woodcock, Unabomber etc. In den letzten Jahren haben
einige linke Verlage auch anarchistische Bücher veröffentlicht: "Airinti
Yayinlari" (Airinti-Verlag), die Bücher über Anarchismus und libertäre
Ideen herausgeben, sind ein bedeutendes Beispiel.
Derzeit gibt es noch einige anarchistische Zeitungen/Zeitschriften. Die
erste Ausgabe der anarchistischen Zeitung "Efendesizler" (Herrenlos) war
sehr erfolgreich; über 5.000 Exemplare wurden verkauft und seither sind 13
Ausgaben erschienen. Eine weitere ist "Anars,i" (Anarchie), deren erste
Ausgabe im November 1999 erschien; sie steht den Vorstellungen der AGF
nahe. "Ates, Hirsizi" (Feuerdieb) erscheint nicht mehr so häufig wie
früher - sie können nur noch einmal pro Jahr herauskommen. "Apolitika" war
eine der wichtigsten türkischen anarchistischen theoretischen
Zeitschriften und scheint eingangen zu sein. "Nisyan" hat zwar den Inhalt
für ihre vierte Ausgabe festgelegt, aber es sieht nicht so aus, als würde
diese Ausgabe bald erscheinen. Die Gruppe, die die "Karapin" herausgab,
plant jetzt eine neue Zeitschrift, die auch Artikel über anarchistische
Kultur bringen soll - es wird erwartet, daß sie in einigen Monaten
erscheint.
Alle oben genannten Zeitungen/Zeitschriften erscheinen in Istanbul; es
gibt außerdem noch viele anarchistische und anarcho-punk-Zines, die in
Istanbul und anderen Orten unregelmäßig erscheinen. AnarchistInnen (oder
besser gesagt, anarchistische "Intellektuelle") schreiben auch in
bekannten türkischen Zeitschriften wie Varlik, Birikim etc. über Politik,
Literatur, Kunst und Philosophie.
* März 2000
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