A - I n f o s
a multi-lingual news service by, for, and about anarchists
**
News in all languages
Last 40 posts (Homepage)
Last two
weeks' posts
The last 100 posts, according
to language
Greek_
中文 Chinese_
Castellano_
Català_
Deutsch_
Nederlands_
English_
Français_
Italiano_
Polski_
Português_
Russkyi_
Suomi_
Svenska_
Türkçe_
The.Supplement
The First Few Lines of The Last 10 posts in:
Greek_
中文 Chinese_
Castellano_
Català_
Deutsch_
Nederlands_
English_
Français_
Italiano_
Polski_
Português_
Russkyi_
Suomi_
Svenska_
Türkçe
First few lines of all posts of last 24 hours ||
of past 30 days |
of 2002 |
of 2003 |
of 2004 |
of 2005 |
of 2006 |
of 2007 |
of 2008 |
of 2009 |
of 2010 |
of 2011 |
of 2012 |
of 2013 |
of 2015 |
of 2016 |
of 2017 |
of 2018 |
of 2019
Syndication Of A-Infos - including
RDF | How to Syndicate A-Infos
Subscribe to the a-infos newsgroups
{Info on A-Infos}
(de) FAU, direkte aktion: LÄSST DAS BUNDESARBEITSGERICHT DIE BAUHERRN DER MALL OF SHAME ZAHLEN?
Date
Sat, 19 Oct 2019 11:25:01 +0300
Am 16. Oktober 2019 wird das Bundesarbeitsgericht in Erfurt sich damit befassen, ob das
Unternehmen, das die Mall of Berlin errichten ließ, für die Bezahlung der Bauarbeiter
einstehen muss. Warum ist das überhaupt eine Frage? ---- Hintergrund Von: Ben Zashev - 13.
Oktober 2019 ---- Im Mittelalter war es üblich, dass die Zimmerleute zum Richtfest den
letzten Holzsparren, der zur Fertigstellung des Dachstuhls fehlte, vor dem Bauherrn
versteckten. Erst wenn klar war, dass es läuft mit dem Lohn und dass ausreichend Bier zur
Feier des abgeschlossenen Bauabschnitts am Start ist, konnte der letzte Nagel
eingeschlagen werden. Ansonsten stand dem Bauherrn ein blamables Event bevor. Die
Zimmerleute werden ihren Grund für diesen Brauch gehabt haben. Denn wenn der letzte
Sparren erstmal befestigt ist, nimmt das Interesse des Bauherrn an der Bezahlung der
Arbeiter*innen mysteriöserweise ab. Wer bekommt nicht gerne was umsonst?
Mitten in Berlin steht ein poshes Einkaufszentrum, die Mall of Berlin. Erbaut wurde sie im
Auftrag von Harald G. Huths HGHI-Gruppe.[1]Aber nicht alle Bauarbeiter*innen wurden
bezahlt. Einige rumänische Arbeiter kämpfen zusammen mit der FAU Berlin seit fünf Jahren
um ihren Lohn für den Bau der "Mall of Shame". Dabei scheint der Fall doch einfach: Die
Auftraggeber haben bekommen, was sie wollten - sollten dann nicht auch die Arbeiter
bekommen, was verabredet war?
DAS BUNDESARBEITSGERICHT UND DIE HAFTUNG DER AUFTRAGGEBER
Müsste sich bei einer Ungerechtigkeit wie der Mall of Shame nicht juristisch etwas tun
lassen? Die Gerichte haben viel getan, nur nichts wodurch Geld bei den Arbeitern
angekommen wäre. Der Trick, wie man eine Mall bekommt, ohne dass diejenigen, die sie
bauen, vollständig bezahlt werden, dreht sich um Subunternehmerketten. Wie von Geisterhand
gingen alle Unternehmen, gegen die die Arbeiter Ansprüche geltend machen konnten, pleite.
Das Gesetz sieht eigentlich vor, dass in solchen Fällen, die auftraggebenden Unternehmen
dafür haften, dass die Arbeiter zumindest die Branchenmindestlohn erhalten. § 14 "Haftung
des Auftraggebers" des Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) bestimmt:
Ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder
Dienstleistungen beauftragt, haftet für die Verpflichtungen[der Nachunternehmer]zur
Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen[wie ein Bürge.]
Ist die HGHI Leipziger Platz ein Unternehmen? Check! Hat sie Nachunternehmen beauftragt?
Check! Ist ein Bürgen-Fall durch deren Zahlungsausfall eingetreten? Check! Haftet die
HGHI? Die Gerichte sagen: Nein.
In den unteren Instanzen ist der Versuch der FAU Berlin gescheitert, die HGHI entsprechend
§ 14 AEntG für die Bauarbeiter zumindest den Mindestlohn zahlen zu lassen. Der Grund ist,
dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) 2002 entschieden hat, der Begriff des Unternehmers sei
vom unterstellten "Ziel des Gesetzes" her einschränkend auszulegen:
Der Gesetzgeber wollte nicht jeden Unternehmer iSv. § 14 Abs. 1 BGB, der eine Bauleistung
in Auftrag gibt, in den Geltungsbereich des § 1 a AEntG[Anmerkung: Vorgänger der § 14
AEntG]einbeziehen. Ziel des Gesetzes ist vielmehr, Bauunternehmer, die sich verpflichtet
haben, ein Bauwerk zu errichten, und dies nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigen,
sondern sich zur Erfüllung ihrer Verpflichtung eines oder mehrerer Subunternehmen
bedienen, als Bürgen haften zu lassen, damit sie letztlich im eigenen Interesse verstärkt
darauf achten, daß die Nachunternehmer die nach § 1 AEntG geltenden zwingenden
Arbeitsbedingungen einhalten. Da diesen Bauunternehmen der wirtschaftliche Vorteil der
Beauftragung von Nachunternehmern zugute kommt, sollen sie für die Lohnforderungen der
dort beschäftigten Arbeitnehmer nach § 1 a AEntG einstehen.[...]Bauherren fallen daher
nicht in den Geltungsbereich[.]
Dieses Argument können natürlich nur Jurist*innen verstehen, weil jeder normale Mensch
sagen würde: Aha, wenn "der Gesetzgeber" nur Bauunternehmer meinte, warum hat er den
Paragraphen dann nicht einfach mit "Ein Bauunternehmer ... " angefangen? Warum bedurfte es
der telepathischen Fähigkeiten des BAG, um in die Köpfe hunderter Abgeordneter zu blicken
und ihre eigentliche Intention beim Erlass des Paragraphen zu entdecken? Tatsächlich gibt
es Stellen in Gesetzen, an denen eine solche teleologische Reduktion, wie die Jurist*innen
es nennen, auch mit dem gesunden Menschenverstand vereinbar ist. Dass sie es beim AEntG
nicht ist, zeigt der Fall der Mall of Berlin.
Das BAG reduzierte 2002 das Recht der Arbeiter*innen, dass jemand in der
Auftraggeber-Kette, die das eigene unbezahlte Schuften veranlasst hat, dafür
geradezustehen hat, dass zumindest der Mindestlohn fließt, teleologisch weg. So können
Insolvenzen weiter als Waffe im Klassenkampf genutzt werden. Die Kapitalseite kann sich
mit der BAG-Auslegung um einen Teil der Lohnkosten für den geschaffenen Wert drücken. Das
ist ein ziemlich überraschendes Ergebnis in der vom Ziel her erfolgenden Interpretation
eines Gesetzespakets, das den Namen "Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und
zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte[!]" trug.
Vermutlich liegt das BAG nicht ganz verkehrt mit seinem Ansatz, dass "der Gesetzgeber"
auch bei "Arbeitnehmerrechte"-Gesetzestiteln primär das Ziel verfolgt, Kapitalist*innen
vor sich selbst zu schützen. Zwar soll im Kapitalismus der cleverste Ausbeuter gewinnen.
Aber bauernschlaue Ausbeuter erzeugen Situationen, in denen Arbeitende die Dinge in die
eigene Hand nehmen. Dann zerlegt einem ein um den Lohn geprellter Arbeiter schon mal den
Neubau, wie Daniel Neagu 2018 in England. Der Gesetzgeber möchte für eine Ordnung sorgen,
in der Frieden im Innern herrscht.
Die Fokussierung des BAG auf die Pflichten der Auftraggebenden, hat durch die Einführung
des flächendeckenden Mindestlohns weitere Implikationen. Auch die Haftung bei
Subunternehmer-Ketten im § 13 des Mindestlohngesetzes soll "entsprechend" § 14 AEntG
umgesetzt werden. Spätestens das stellt klar, dass wohl kaum ausschließlich Bauunternehmen
mit "Unternehmen" im § 14 AEntG gemeint sein können.
2012 fiel auch dem BAG auf, dass die Ausnahme der Bauherren vom Haftungsbereich im 2002er
Urteil gar nicht aus der eigenen Argumentation folgt. Es korrigierte sich dahingehend,
dass Bauherren haften, wenn sie als Bauträger wirken. Ein Bauträger ist dabei ein
Unternehmen, das bauen lässt, um zu verkaufen.
Da im konkreten Fall die HGHI die Mall of Berlin aber nur bauen ließ, um zu vermieten,
urteilten die bisherigen Instanzen, dass sie nicht zu zahlen habe.
WER BAUTE DIE MALL OF BERLIN?
Die Öffentlichkeit sieht Huth und seine Firmen hingegen zunächst als Bauende. So prangt im
BZ-Artikel "Wir sind Berlins Baubären" neben Harald Huths Gesicht der Satz: "Ich baue für
eine Milliarde Euro die ‚Mall of Berlin‘." Vor Gericht hingegen redet sich die HGHI
Leipziger Platz dahingehend heraus, ihr Unternehmenszweck sei ja gar nicht der Bau,
sondern die Vermietung. Ihre Anwälte werden Gründe gehabt haben, warum sie die anderen
Projektentwicklungs-Ziele nicht thematisierten: Laut Handelsregister betreibt sie
"Entwicklung, Vermietung, Verwaltung und Verwertung des Grundstücks Leipziger Platz 12, 13
in Berlin". Der Kern der GmbH ist also, für den Mall-Bau zu sorgen und für ihre Verwertung
durch Vermietung oder Verkauf. Am 16. Oktober 2019 wird sich zeigen, ob auch das
Bundesarbeitsgericht sie mit ihrer bisherigen Argumentation durchkommen lässt.
Selbst Harald Huth gesteht im Tagesspiegel-Interview (2018) zu, dass er auch vom
Juristischen abgesehen in einer Verpflichtung gegenüber den Arbeitern steht: "Wenn die
Gewerkschaftler mich angerufen und mir das Schicksal der Männer geschildert hätten, hätte
ich denen natürlich Geld gegeben, schon um den Ärger zu vermeiden." (Hätte er natürlich
nicht; aber schön, dass er das rückblickend so sieht!)
Andreas Fettchenhauer, gegen dessen durch die HGHI beauftragte insolvente Baufirma
Fettchenhauer Controlling und Logistic (FCL) die Arbeiter bisher Haftungsansprüche
erreichen konnten, vertrat 2014 im Tagesspiegel sogar, dass die HGHI eine konkretere
Verantwortung für die ausstehenden Löhne trage. Er sagte: "Wenn der Auftraggeber den
Forderungen nachkommt, könnten alle bezahlt werden."
Was das Bundesarbeitsgericht am Mittwoch entscheidet, wird sich auf die Rechte aller
Arbeiter*innen auswirken, deren Lohn irgendwo in Subunternehmer-Strukturen verschütt geht.
Dennoch sind das sehr theoretische Rechte: Praktisch haben die meisten Arbeiter*innen -
besonders migrantische und Wanderarbeiter*innen - nicht die Ressourcen, sich jahrelang
durch Instanzen und Subunternehmerketten zu klagen.
Der einzige Weg, sicherzustellen, dass man nicht verarscht wird, bleibt, schon bei ersten
Zweifeln an der Zahlungsmoral der Auftraggeber gemeinsam mit den Kolleg*innen aktiv zu
werden. Als unsere Kolleg*innen das beim Bau der Mall of Shame 2014 versuchten, ließ die
Ausbeuter*innen-Seite sie noch auflaufen. 2018 aber standen Bauarbeiter beim HGHI-Projekt
"Tegel-Quartier" einige Monate ohne Lohn da. Sie legten gemeinsam die Arbeit nieder und
versammelten sich vor der HGHI-Zentrale mit Schildern: "Huth! Du Betrüger!". Das hat
gewirkt. Wenn man stets schnell reagiert, geht es beim zweiten Mal also auch ganz ohne
Umweg übers Bundesarbeitsgericht. Von der Hartnäckigkeit der FAU im Mall-of-Shame-Fall
profitieren somit auch andere Arbeiter*innen.
https://direkteaktion.org/bundesarbeitsgericht-bauherrn-mall-of-shame-zahlen/
_________________________________________
A - I n f o s Informationsdienst
Von, Fr, und Ber Anarchisten
Send news reports to A-infos-de mailing list
A-infos-de@ainfos.ca
Subscribe/Unsubscribe http://ainfos.ca/mailman/listinfo/a-infos-de
Archive: http://www.ainfos.ca/de
A-Infos Information Center