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(de) FAU-IAA Direct Action #219 - Kolumne Durruti ---- Alltagsgeschichten aus dem real existierenden Kapitalismus - Vera Drake
Date
Sat, 02 Nov 2013 14:34:57 +0200
"Arm aber sexy", so lautete die 2003 vom Berliner Oberbürgermeister Wowereit geprägte
Lifestyleaussage über den gewöhnlichen Bewohner der Hauptstadt. Darunter stellt man sich
seitdem einen gut gebildeten, geschmackvoll, wenn auch ein wenig nachlässig gekleideten,
in DIY- Möbeln lebenden Loftbewohner vor, der gerne morgens auf dem Dach seines
Fabrikgebäudes in Kreuzberg oder Mitte einen Latte Macchiato schlürft und dort die letzte
wilde Nacht Revue passieren lässt. ---- Dass Armut und prekäre Lebensbedingungen unter
bestimmten Umständen nicht mehr als unattraktiv, bemitleidenswert und abstoßend
wahrgenommen werden, zeigt die schmerzfreie Vermarktung derselben als
Neo-Bohemien-Lebensgefühl: "Erleben Sie, wie eine Stadt trotz oder gerade wegen ihrer
finanziellen Knappheit poetischen Reichtum hervorbringt", lockt ein alternativer
Reiseanbieter Touristen nach Berlin.
Zum poetischen Reichtum der Stadt gehören die zahlreichen Flohmärkte und billigen, stets
geöffneten Kneipen ebenso wie Mietpreise, bei denen Austauschstudenten aus Barcelona
feuchte Augen bekommen. Alles ist ausgerichtet auf einen billigen DIY-Lifestyle, der zwar
die Angestellten des Biodiscounters um die Ecke alt aussehen lässt, es aber möglich macht,
dass ich mein Biobrot für unter zwei Euro erstehen kann. Und auch der Verzicht auf
Fleisch, den das Jobcenter Pinneberg unlängst allen Hartz-IV-Empfängern in einer
Spar-Broschüre empfahl, kann mühelos in den hippen neuen Armutsalltag eingebaut werden.
Ohnehin gibt es eine Vielzahl an Kochbüchern ("Hartz-IV-Kochen mit 4,36 Euro am Tag") oder
sonstiger Ratgeberliteratur, die uns einen würdevollen Umgang mit wenig Kohle lehren
möchten. Von allen Ecken scheint es zu rufen: "Finde dich mit dem Scheiß ab, mach einfach
das Beste draus."
Als vor einiger Zeit die großen Modezeitschriften an meinem Lieblingsspäti den
"Homeless-Chic" als neuen Trend auf den Straßen der Metropolen ausmachten, war er
hierzulande bereits längst angekommen. Die Aneignung von Armut als besondere
Kreativitätstechnik ist scheinbar hip geworden. Und solange sie nicht als solche entlarvt
wird, darf sie sich als die abgefuckte kleine Schwester von Peek und Cloppenburg fühlen.
Wehe aber, wenn sich dann doch herausstellt, dass das WG-Zimmer die Eigentumswohnung und
die übergroße Strickjacke von Vivian Westwood ist. Aber was dann? Eigentlich auch
schnurzegal. Denn arm zu sein, ist vielleicht nicht schick, ein bisschen so auszusehen
aber offenbar schon.
Armut verschwindet ja auch nicht aus dem Alltag, nur weil einige sie als modische oder
kulinarische Inspirationsquelle nutzen. Sie soll eben nur nicht mehr so hässlich und
mitleiderheischend daherkommen. Arbeitslosigkeit oder prekäre Arbeit und damit verbundene
Armut ist schließlich keine selbstgewählte Situation. Sie resultiert zumeist aus
Lebensumständen, die es uns schlicht nicht ermöglichen, besser zu leben. Und wie sexy es
in Berlin tatsächlich zugeht, erkennt man vielleicht daran, dass jedes dritte Kind in
einer Familie lebt, die Hartz IV-Leistungen erhält. Da kommt der Shabby-Look schon in der
Kita super an.
Aber natürlich sieht es auch anderswo nicht rosig aus. Fast jeder vierte Beschäftigte
arbeitet in Deutschland für einen Niedriglohn. Deutschland verzeichnet damit den
zweitgrößten Niedriglohnsektor in Europa. Working Poor ist also das neue
Normalarbeitsverhältnis. Und mit dem soll ich mich jetzt eben anfreunden - so sieht's aus.
Kann ja auch ganz romantisch sein. Ich freu mich jedenfalls schon auf den Winter. Endlich
schön im Bett kuscheln bei Kerzenschein, anstatt die olle Zentralheizung anzuwerfen.
Vera Drake
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